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Hubert Herfurth: Zur WAK- und Peer-Ökonomie Diskussion

Ein paar Überlegungen zum Gesellschaftsverständnis der radikalen Linken am Beispiel neuester Äußerungen Uli Weiß (Quelle)

Rückblickend lässt sich ja sehen, dass die frühzeitliche Nichtexistenz der Wertformen in den menschlichen Ur-Gemeinschaften gebunden war an sehr, sehr enge Lebensverhältnisse (der Begriff Kommunismus macht hier wenn überhaupt nur ebenso eng gefasst einen Sinn). Die Erweiterung dieser Lebensverhältnisse machte das Aufkommen der Wertformen notwendig, weil die vorhandene Gesellschaftlichkeit dieser voneinander getrennten aber sich einander ’nähernden‘ Gemeinschaften diese Trennung in Gänze nicht überwinden konnte. Inzwischen leben wir einige tausend Jahre später nun in Zeiten, in denen die historische Be­grenztheit dieser Formen praktisch erfahrbar wird und daher zumindest das Nachden­ken über die Möglichkeiten zur Aufhebung einen Sinn macht, insbesondere wenn der Fundus des hinter uns liegenden realen Ge­schichtsprozesses in dieses Nach­denken einfließt. Damit sollte uns heute freilich aber vor allem klar sein, dass das übereilte Herbei­sehnen und Herbeireden der Aufhebung der Wertformen die dazuge­hörigen Verän­derungen im Ver­halten der Menschen, in ihrem Verhältnis zueinander nicht automa­tisch mit bedin­gen. Diese For­men sind ja nicht an sich überflüssig und sie stellen auch keinen Sün­denfall in der menschlichen Entwicklung dar. Die Veränderung der Verhältnisse braucht offenbar einfach mehr Zeit als erhofft oder ge­dacht. Auch Marx interpretierte in diesem Zusammen­hang die Zeichen seiner Zeit zumindest teil­weise geschichtsperpektivisch so falsch wie die russi­schen Okto­berrevolutionäre spä­ter praktisch – aber auch daraus lässt sich nur lernen oder das totale Scheitern wird andauern. So traurig das für un­sere individuellen Lebensspannen sein mag, weil sich ganz praktisch zeigt, dass dieser Aufhebungs-Traum im Rahmen der uns zur Verfügung stehenden Zeit­spannen erstmal eben immer noch nur ein Traum bleiben wird (ich bin Jahrgang 56). Was aber zu­gleich überhaupt nicht ausschließt, das sich dies zukünftig ändert. Doch die genauere Einschät­zung dieser Problematik, die Klärung der Bedin­gungen also, die für diese Veränderung aller Wahr­scheinlichkeit nach notwendig sind, gelingt nicht ohne ein Einlassen auf die konkreten Zusammen­hänge. Die Leichtfertigkeit mit der Uli hier zu Ur­teilen kommt, die seinen eigenen, inhaltlichen Ein­schätzungen an anderer Stelle diametral entgegen stehen (Stichwort Sassulitsch) bereitet mir regel­recht Schmerzen beim Lesen.

„Dass das Proletariat (und dessen Diktatur) der Schöpfer eines neuen Ganzen sein könn­te, das ist geschichtlich (und inzwischen auch logisch) widerlegt“ (aus Ulis WAK mail).

„Proletariat“ ist hier immer noch nur ein Mythos und nicht einfach die ‚ganze‘ Gesellschaft (die es allerdings im Singular noch gar nicht gibt) der lohnabhängigen „ArbeiterInnen“, die sich ihres objek­tiven Zusammenhangs und der daran hängenden Möglichkeiten in der kapitalistischen Warenpro­duktion aber natürlich auch erstmal subjektiv bewusst werden müssen. Wobei ich hier unter „bewusst werden“ vor allem einen praktischen Prozess verstehe, in dem aus dem Neben-, Durch- und Gegeneinander von ge­sellschaftlichen und (!) ungesellschaftlichen Ambitionen der gesellschaftlichen Akteure sich erst die wirklich gesellschaftlichen Zusammenhänge als die stärkeren durch setzen (müssen). Allerdings, ohne die berühmte, im Augenblick wie nie wirkende „Notwendigkeit“ (z. B. ökonomische [Jahrhundert]-Kri­se und drohende Klimakatastrophe) ist dies für mich so wenig vorstellbar wie ohne die (selbst)kritische Betrachtung und Aufarbeitung der bisherigen (Bewegungs)geschichte.

Ulis angeblicher Beweis be­steht ja praktisch nur darin, dass eine bestimmte Vorstellung (!) vom Ergebnis des Geschichtspro­zesses bisher in der Tat nicht eingetreten ist. Abgerundet wird diese „Einsicht“ mit dem inzwischen schon klassischen Lamento, das Proletariat ringe

„gemäß seiner Interessenlage um den Erhalt der Ausbeutungsverhältnisse“ (ebenda),

anstatt seiner eigentlichen Mission entsprechend, dem Kapital eben diese Ausbeutungsverhältnisse um die Ohren zu schlagen. Uli diskutiert hier so abstrakt wie ungenau. Schon sein Versuch in „Kein Weg aus dem Kapitalismus!“ Christi­an Siefkes‘ Peer-Ökonomie Konzept von meiner Kritik „Gesellschaftlichkeitsdefizite der Peer-Ökonomie“ freizustellen, basiert auf dem grundsätzli­chen Fehlverständnis der Gesellschaftlichkeitsproblematik, die letztlich durch keinen Modellvorbe­halt außer Kraft gesetzt werden kann. Im Gegenteil, das Modell muss zeigen, dass es diese Anforde­rungen in der Lage ist abzudecken oder die Grenzen müssen abgesteckt werden, bis wohin das Mo­dell aussagekräftig sein kann oder soll. Was Christian auch bei gutwilligster Interpretation aller­dings genau nicht macht, denn so hat er nach meiner Beobachtung (Treffen in Hattingen, Diskussion im Blog und Vortrag in Berlin) die Möglichkeit, je nach Publikum, zwischen Modellüberlegungen und der Definition von Produk­tionsweisen mit Realitäts-Charakter ziemlich beliebig hin und her zu springen. Methodisch ist das m. E. ein eher katastropha­ler Ansatz. Er zeigt aber, auf welch einem wissenschaftlichen Niveau sich viele linke Auseinan­dersetzungen bewegen. Uli wehrt die Kritik hier nicht ab, weil sie inhaltlich nicht passt, sondern weil sie ihm selbst nicht passt. Stattdessen formuliert er dann eine Kritik die auf einem Zirkel­schluss basiert, weil er die Freiheit vom Zwang zur Arbeit im Ziel („Kommunismus“) zur absoluten Voraussetzung schon für den Weg zum Ziel selbst macht.

„Die PRODUKTIONSTÄTIGKEIT, für die Christian ausdrücklich einen ÄUSSEREN ANTRIEB für notwendig hält, ist die UNGELIEBTE ARBEIT. Es ist eine Arbeit, die als OPFER angesehen wird. Man verrichtet sie nicht als Bedürfnis um ihrer selbst und um des konkreten Produktes Willen. Man leistet sie, um sich Ansprüche auf solche Güter zu erwerben, die von anderen Menschen hergestellt werden“ in „Kein Weg aus dem Kapitalismus!“

Wenn er eine solche Voraussetzung wirklich ernst meinte, müssten die Veränderungsbestrebungen eigentlich als sinnlose eingestellt werden, denn wenn überhaupt, käme der Kapitalismus dann automatisch irgendwann dorthin oder nie. Er ist hier noch idealistischer als Christian, weil sein Ausgangspunkt noch weniger der Realität verhaftet ist.

Aber darüber hinaus verfehlt er selbst in diesem Ziel den eigentlichen Charakter dieser Arbeit – gesellschaftliche Arbeit zu sein – sehr weit­gehend, womit sich dann auch deutlich zeigt, dass es meine Gesellschaftlichkeitsvorstellungen selbst sind, die er für falsch hält bzw. halten muss.

Er schließt hier an Christians selbstbezüglichen Anfang an und lässt die gesellschaftlichen Bestimmungen, wie die dazugehörigen inhaltlichen Implikationen unbeachtet außen vor. Nega­tiv erwähnt er die Zwangsarbeit und positiv geht es um die schöpferische Selbstbetäti­gung (der Ar­beitenden), als Selbstzweck dieser Arbeit. Doch das dies nur funktioniert im Verhältnis – und dieses Verhältnis einer der Springpunkte ist, um den sich die Problematik hier dreht – zum Empfän­ger der erarbeiteten Dinge und Leistungen entfällt. Aber: Arbeit ist erst gesellschaftliche Arbeit, wenn sie nützli­che Arbeit für Andere ist. Sie dient deren Bedürfnisbefriedigung und damit deren Selbstentfaltung. Das eigene Selbst kann sich nur entfalten, entwickeln in der Anerkennung, Bejahung und Unterstützung aller anderen und ihrer Selbstentfaltung. Schon in der gerade wiedergegebenen Textstelle tauchten 2 Bedingungen auf, an denen Uli „kommunistische Arbeit“ zu erkennen glaubt:

Man muss sie verrichten um ihrer selbst willen und um des Produkts willen.

Die Empfänger dieser Arbeiten, die Anderen, die Gesellschaft tauchen hier als direkter Grund jedoch überhaupt nicht auf. Die kommunistische Gesellschaftlichkeit erweist sich damit auch bei ihm als eine einzige Fehlstelle, weil er sie mit ihrer Spezifik nicht an einer Stelle berührt, benennt oder gar problematisiert.

Uli sieht in der Lohnarbeit nur den Zwang, nicht auch das Positive der Warenproduktion, das durch deren Aufhebung zu bewahren und auf eine höhere Stufe zu heben wäre. In der Gesellschaft der voneinander unabhängigen Privateigentümer wird die zugrunde lie­gend­e gesellschaftliche Abhängigkeit voneinander als Verhängnis erlebt und genau so spiegelt sich dies auch noch in den Veränderungsbestrebungen:

Denn im Prinzip wird die Gesellschaft bei Uli wie bei Christian ebenfalls gebildet von einander unabhängigen Individuen, die jeweils nur ihrer Selbst­entfaltung verpflichtet sind

und irgendwie gemeinsam und natürlich kooperativ ihre jeweiligen Be­dürfnisse befriedigen (als wenn in der kapitalistischen Produktion irgendetwas ohne Kooperation zustande käme). Das diese Gesellschaft zusammen haltende Band ist dem Handeln der Menschen damit schon vorausgesetzt und somit diesem Handeln völlig äußerlich – so lange das Eigeninteresse der Dreh- und An­gelpunkt bleibt und eine andere überprüfbare Definition ausbleibt.

Sein zunächst verständliches Bestreben, jeden Zwang auszuschließen, übersieht allerdings, das auch dieser Zwang kein der Gesellschaft äußerer ist. Er entspringt aus diesen gesellschaftlichen Verhältnissen. Aufzuheben ist er nur, wenn die Menschen in geänderten Verhältnissen zueinander ihrer Gesellschaftlichkeit einen anderen Ausdruck geben, so dass der äußere Zwang seine Notwendigkeit verliert, eben weil er nicht mehr gebraucht wird, wenn die Menschen sich zueinander anders verhalten.

Die Probleme welche das Proletariat hat, wenn es sich als EIN SUBJEKT, mit EINEM gemeinsamen Interesse kon­stituieren muss auf der Basis ei­ner größeren, immerhin mehrere Milliarden Individuen fassende An­sammlung unterschiedlicher Menschen, aus unterschiedlichen sozialen Lagen, aus unterschiedlichen Betrieben, aus unterschiedlichen Pro­duktions- und Arbeitssphä­ren, aus unterschiedlichen Ländern, mit unterschiedlichen Sprachen sieht Uli nicht, noch interessiert er sich dafür. ER setzt dieses SUBJEKT und die dazugehörigen INTERESSEN einfach BEGRIFFLICH ein, und wenn diese BEGRIFFE nicht so funktionieren, wie ER es braucht, KONSTRUIERT er sich neue – als wenn die begrifflichen Fest­legungen automatisch identisch mit dem realen Geschichtsprozess sein könnten oder gar identisch sein müssten. Christian Siefkes etwa beschreibt den so realen wie gegenwärtigen Ausgangspunkt der Warenproduktion – Produktion für andere zu sein – völlig richtig und glaubt dann doch, mit seiner begrifflichen Abkehr von dieser Realität und dem Wechsel zu einem überschau­bareren, faktisch jedoch genauso idealistischen ‚Subjektes‘ (WIR) eines ebenso idealistischen Gemeinschaftsinteres­ses wäre seine neue Produktionsweise schon begrün­det oder eine neue Produktionsweise so begründbar (siehe meine Kritik an Robert Kurz die übrigens nicht ! wg Kurz in die Kritik am Christian aufgenommen wurde), obwohl die Peer-Produk­tion nach seiner eigenen Argumentation ge­nau dies weitgehend schuldig bleibt, Produktion für andere zu sein. Denn genau da kommt sie nach Christians eigener Einschätzung an die durch die Warenproduktion angestoßene Bedürfnisbefriedi­gung nicht ran (er outet die bekannten OS Vor­zeigebeispiele firefox und thunder­bird als durch den Markt angestoßene, außergewöhnlich nutzer­freundliche Programme), eben weil sonst der Selbstbe­zug dominiert und daher – als dessen Kehr­seite – für eine Veränderung über den Kapitalismus hinaus der absolut notwendige Gesellschafts­bezug eigentlich fehlt. Diese Ungesellschaftlichkeit der Peer-Produktion bestätigt Christian sogar in einer Anwort an mich, denn auch für ihn

„(vertreten) die heutigen Peer-Produzent/innen und ihre Theoretiker, () eher ungesellschaftliche Vorstellungen“ (Diskussion im Keimform-Blog)

und doch versteht er überhaupt nicht, dass genau daraus sein Erklärungsdefizit resultiert, weil seine Prophezeiung so vollkommen in der Luft hängt und eben kein realer, praktischer Ausgangspunkt sondern reines Wunschdenken ist.

Das Proletariat ist so für Uli nicht mehr als das Objekt seiner politischen Begierde (ob anhimmelnd oder niedermachend ist dabei aus meiner Sicht ziemlich gleichgültig). Die Diskrepanz zwischen Ulis In­teressenlage auf das Objekt Proletariat und der Interessenlage der Menschen die dieses Proletariat bilden (denen er sich im übrigen offenbar auch nicht zugehörig fühlt) ist so eklatant wie interessant. Da Uli jede Mühe dabei vermissen lässt, die Interessenlage der Menschen die das Proletariat bilden nachzuvollziehen und die Schwierigkeiten offen zu legen, die der Subjektwerdung hier zum ‚Prole­tariat für sich‘ im Wege stehen, offenbart sein Eigeninteresse so eine völlige Gleichgültigkeit gegen­über den Menschen die das Proletariat bilden und damit faktisch zur gesamten Gesellschaft – so lan­ge diese nicht so funktioniert wie er meint, dass sie funktionieren müsste. Die Objektsetzung ist hier nicht weniger total als bei den Charaktermasken ‚der anderen Seite‘, die das ganze Ungemach wel­ches diese Verhältnisse einem Großteil der Menschen antun, als in deren eigener Verantwortung be­gründet ansehen. Das Subjekt Uli mutiert hier zum Puppenspieler und wenn das Spiel mit der Pup­pe ‚Proletariat‘ keinen Spaß mehr macht, wird sie ausrangiert. Das ergänzt sich übrigens sehr gut mit der hier bei Uli anschließenden, jedoch genau so oberflächlichen ‚Klassenanalyse‘

„Die Geschichte hat allerdings neue soziale Phänomene hervorgebracht, Menschen (aus ganz verschiedenen Klassen und Schichten) mit Interessen und Fähigkeiten, mit konkre­ten Praxisformen, die – anderes als bei Proletariat – inkompatibel zur kapitalistischen Produktionsweise sind (wenngleich sie bisher deren Funktion noch voraussetzen)“ (WAK email).

Wenn heute die Marxsche – ich sage ausdrücklich nicht marxistische – Proletariatsbestimmung auf die „übergroße Mehrzahl“ (Marxscher Ausdruck aus dem K-Manifest mit dem er vor ca. 160 Jahren den Geschichtsprozess erstaunlich richtig antizipierte, wohingegen der elitäre Minderheitenbezug der heutigen ‚revolutionären‘ Linken das ganze Gesellschaftlichkeitsdesaster hier offen vor fast aller Augen treten lässt) der Gesellschaft zutrifft, dann müssen Ulis „neue soziale Phänomene“ auch hier einzu­ordnen sein. Damit ist allerdings der von ihm aufgemachte Gegensatz zwischen Proletariat und Menschen – der ja nichts ist als der Widerspruch zwischen einem Teil (oder verschiedenen Teilen) und dem Ganzen – von vornherein hinfällig und dient allein der Aufrechterhaltung seines Puppen­spiel­erstatus: das ausrangierte Spielzeug muss schließlich ersetzt werden – seine „Menschen“ sind nur der so abstrakte wie leere Ersatz für sein ganz und gar nicht stimmiges Bild von der Realität. Dieses will und muss er nun anpassen, aber er benutzt dafür die gleichen Werkzeuge wie zuvor: leere Abstraktionen. Womit zugleich deutlich wird, das das Interesse an realen gesell­schaftlichen Veränderungen und Veränderungsmöglichkeiten ersetzt wird von periodisch zu erneu­ernden, irrealen Träumereien, denn auf den Nachweis, dass die von ihm erwähnte Inkompati­bilität über die subjektiven Befindlichkeiten der Träger dieser Praxisformen und damit über deren Selbst­einschätzung hinausreicht, wird man lange warten dürfen. Schon sein eigener Klammer­zusatz schränkt die behauptete Inkompatibilität weit mehr ein, als seine vollmundige Aussage ver­trägt. Die Peer-Produktion (OS etc.) mag in einem gewissen Spannungsverhältnis zur kapitalistischen Produkt­ionsweise stehen, doch diese ist durchaus kompatibel mit anderen, auch gegensätzlichen Pro­duktionsweisen wie etwa der Haus-und Familienarbeit, weil (oder so weit) sie von der kapitalistischen Pro­duktion abhängig blei­ben und diese ergänzen. Doch so lange Uli sich im Schein seines Überlegen­heitsge­fühls sonnt, wird er einen Teufel tun und nicht mit Hilfe auch sich selbst gegenüber schonungsloser Analyseverfah­ren den Vereinfachungen seiner eigenen, absolut abstrakten Sichtweise zu Laibe rücken, nur um dann am Ende zu sehen, dass seine Überlegenheit nicht mehr war als eine so ju­gendlich wie spießi­g eitle Wunschvorstellung von den tollen Revolutionären als den gesellschaftli­chen Erneuerern und Er­rettern.

Aus meiner Sicht spiegelt gerade diese weitgehende Gleichgültig­keit sol­cherart ‚revolutio­närer Führungskräfte‘ gegen die reale Anmaßung der Fakten nur das immer noch vorhandene, ob­jektive Unvermögen der Gesellschaft selbst (freilich zynisch gewendet), in der feh­lenden Rücksicht auf die Bedürfnisse der jeweils Anderen die Ursache für die nichtvorhandene Be­rücksichtigung der jeweils eigenen Bedürfnisse zu sehen. Zugleich zeigt sich in diesem intel­lektuel­len Besser-Wisser-Dünkel der noch nicht überwundene Verlust der Sonderstellung, der Frust dar­über, dass die angestrebte und erträumte Führungsrolle in einer historischen ‚Niederlage‘ ko­lossalen Ausmaßes geendet ist, in dem dann auch noch die unbewusste Abwehr vor der nivellie­renden Wir­kung der Lohnarbeit aufscheinen mag.

Allerdings müsste schon der Blick auf die Gesamtszenerie bewusst revolutionärer Bestrebungen deutlich machen, das hier etwas nicht stimmt, denn das von Uli so genannte Unvermögen des Prole­tariats steht dort neben der heillosen Zerstrittenheit und dem nicht vorhandenen Zugang auf die Gesellschaft als konkretes Ganzes. Die jeweiligen, sich einander feindselig oder gleichgültig gegen­überstehenden Auffassungen von (aber immer) abstrakter Gesellschaft (Proletariat etc.) werden hier wie von Privatei­gentümern gehändelt, unter denen allein die Konkurrenz ums beste Geschäft alles beherrscht. Die scheinbar klare Differenz zwischen scheinbar versagendem Proletariat einerseits und scheinbar durchblickenden, revolu­tionären Intellektuellen andererseits funktioniert ja nur so lange, wie die jeweiligen Intellektuellen es für sich schaffen, diesen Streit (und alle damit verbunde­nen Probleme) auszuklammern und ihren jeweils eigenen Weg für den einzig maßgebli­chen zu hal­ten, weil nur in dieser Perspektive das Versagen des Proletariats das scheinbare Zentrum ist, an dem die Revolution stockt. Die bereits erwähnte Gleichgültigkeit der Gesell­schaft gegenüber findet auch in diesem Verhalten ihren Widerhall. Ulis angeblicher Beweis ist damit in der Tat der allerdings vollständig überflüssige, nur eine Selbstverständlichkeit beschreibende Hinweis, das eine völlig selbstbezügliche Ausrichtung der Gesellschaft kei­nen Umschlagpunkt zu einer höheren Gesell­schaftlichkeit in sich finden kann.

Konkret kann das gemeinsame Interesse des Proletariats in der ‚Klasse für sich‘ aber m. E. spezifisch gar nicht an­ders dargestellt werden als durch einen Ausdruck, in dem die Beziehungen und Verhältnisse der Individuen zueinander explizit erfasst sind– nämlich in dem Interesse an den In­teressen und Bedürfnissen der Anderen. Ein Zustand der sich ja bereits in der realen, alltäglichen, praktischen Tätigkeit (Produktion von Pro­dukten und Dienstleistungen) für die Be­dürfnisbefriedigung der Anderen recht unspektakulär äu­ßern MUSS, dort aber (noch und solange) als Zwangsverhältnis wirkt, wie die Gegenseitigkeit und reale Abhängigkeit voneinander über das Eigeninteresse vermittelt ist– schließlich ist dies ja nichts weniger als eine ganz zentrale Säule der (kapitalistischen) Warenproduktion. Daher ist genau DAS die Klammer die die Gegenwart mit der Zukunft verknüpft, DAS ist der Keim des neuen im alten und nicht die fehlenden Preisschilder auf irgendwelchen Produkten. Die WERTVERHÄLTNISSE und damit die WERTFORMEN sind doch nichts als der objektivierte, gegenständliche Ausdruck des notwendigen Zusammenhangs der voneinander unabhängigen Privatproduzenten. Ein Zustand den Marx im absurden Ausdruck ungesellschaftliche Gesellschaftlichkeit kennzeichnet, um die hier liegende Entwicklungsmöglich- und Notwendigkeit heraus zu arbeiten. Die ganze notwendige, kom­munistische Gesellschaft­lichkeit ist in diesem Aus­druck auf ihren einfachsten und zugleich inhalt­lich auch ausreichend konkreten Punkt ge­bracht, denn der spezifische, inhaltliche Unterschied zu aller Gesellschaft(lichkeit) vor ihr ist darin so eingefangen wie die materialistische Angebundenheit an den real bestehenden Zustand.

Die bloße Verfolgung der jeweils eigenen Interessen ist doch geschichtlich nichts Neues und konstitu­iert auch für sich keine Ge­sellschaft, sondern höchstens eine Gemeinschaft (der aber andere Gemeinschaften zur Seite stehen, mit denen die Auseinandersetzungen um die Gesellschaft wieder neu beginnen). Nochmal zur Erinne­rung der selbstbezügliche Kurzschluss von Robert Kurz der den Fortschritt über den Kapitaltismus hinaus, ausgerechnet darin er­kennen will

„dass Leute sich zusammenschließen, um für sich selbst, für den eigenen Bedarf“

zu pro­duzieren (krisis 19). Sieht man von der scheinbaren Negation in Richtung Kapitalverhältnis ab, ent­hält der Ausdruck nicht nur kein Gramm Fortschritt, sondern in der Definition der Gesellschaftlichkeit fällt er mit dem Selbstbezug sogar hinter das zurück, was er zu kritisieren vorgibt.

Überhaupt ‚entsteht‘ erst mit diesem spezifischen Blick auf das Proletariat ein Proletariat, in dem die einzelnen Individuen als selbstbewusst füreinander täti­ge Individuen noch er­kennbar sind und nicht im abstrakten Meta-Subjekt namenlos verschwinden, um den mehr oder we­niger bürokratischen Vor­gaben ‚ihrer Organisationen‘ faktisch willenlos zu folgen, dafür aber im Einklang mit dem hehren, allgemeinen Ge­samtinteresse stehen (der ganze bisherige Realsozialismus von der frühen KPD bis zur stalinistischen KPdSU ist hiermit glasklar beschrieben). Die kommunistische Ge­sellschaftlichkeit fällt doch nicht vom Himmel, in ihr kann ja nur das bewusst umgesetzt werden, wofür die Vorläuferge­sellschaft den äußeren Zwang der (Wert)verhältnisse brauchte. Die leere Ab­straktheit in der tradi­tionellen Sicht auf die In­teressen des Meta-Subjektes „Proletariat“ spricht da eine ganz klare Spra­che. Führer und Führung, Partei und Staat und nicht zu vergessen, der Plan, sind auch von dieser Seite aus historisch nicht mehr als die untauglichen Ersatzmittelchen und da­mit DER Zeiger auf eine noch nicht vorhandene (kommunistische) Gesellschaftlichkeit. Alle bishe­rigen Veränderungs­bestrebungen basieren auf ab­strakten Kapitalismus-Negationen und Gesellschaftlichkeits-Vereinfa­chungen (da passt Ulis „Beweis“ so gut rein wie die Peer-Ökonomie Diskussion). Die Gesellschaft verfügt somit noch über keinerlei praktikable, positive Aufhebungslösung. Diese einfache Tatsache spiegelt sich im massenhaften Desinteresse an den vorhandenen Scheinlösungen. Und es wirft ein bezeichnendes Licht auf die selbsternannten Führungskräfte, dass sie die hier zum Ausdruck kommende praktische Kritik nicht verstehen. In völliger Verkennung der Tatsachen glauben sie gar gute Gründe dafür zu haben, die Kritik hier in Richtung der großen Mehrzahl der Menschen umzudrehen weil diese ihnen nicht folgt.

Ein weiteres aufschlussreiches Beispiel für die zugrunde liegende Hilflosigkeit dieser Ansätze offenbart z. B. die Diskussion zwischen Karl Reitter und Michael Heinrich in den „grundrissen“ 11 von 2004. Reitter beginnt die­se mit dem Versuch einer „Bereicher­ung“ der Heinrichschen Kapi­tal Einführung über den Begriff des Klassen­kampfs, welchen Heinrich aus meiner Sicht allerdings erfolgreich abwehrt, nur das auch diese Position letztlich völlig unbefriedigend bleibt.

Reitters Klassenkampfansprü­che sind so ab­strakt wie sein Subjekt-Bezug zum Prole­tariat und das dazugehörige proletarische Klassenin­teresse. Michael Heinrich antwortet mit einer Aufzählung von mehr oder weniger offenen Fragestellungen (Gemeinsamkeiten der heterogen zusammengesetzten Klassengemengelagen, Klassenzugehörigkeiten etc.) und zeigt so die Problematik eines meist floskelhaften bzw. abstrakten Umgangs ganz gut auf. Ein Inhalt, über die Verteidigung des Werts der Ware Arbeitskraft hinaus (der auf dieser Ebene die einzige und dazu eben zugleich sehr widersprüchliche Gemeinsamkeit ist, den die Klasse hat), ist hier außer in inhaltsleeren Parolen m. E. nicht zu entdecken. Aber so richtig Heinrichs Zurückwei­sung auch ist, als Antwort offenbart sie doch zugleich die ganze Leere der Marxistischen Vor­stellungen, da für ihn kein Inhalt, kein Grund in den Verhältnissen existiert, durch welchen eine andere Ent­wicklung an­getrieben wird oder angetrieben werden kann – die kapita­listische Gesellschaft ist auch bei ihm im engen Sinn des Wortes kein wirklicher Forschungs­ge­gen­stand. Letztlich ist daher alles Zufall. Sein berechtigtes Misstrauen ge­genüber den objektiv vorher bestimmten Geschichtsverläufen steht neben einem weitgehend verlorenen, analyti­schen Blick auf die sich entwickelnde Realität. Mit ihren Widersprü­chen und den darauf fußenden Möglichkei­ten und Zwängen kann Michael Heinrich nicht viel anfangen, eine Entwicklungslogik (die zu berücksichtigen wäre) ist für ihn nicht zu erkennen.

Es muss also nicht verwundern, wenn der abstrakte Antikapita­lismus sich prinzipiell in 2 Beschwörungsformeln erschöpft. Die fehlenden Inhalte werden durch die moralische und meist martialische Überbetonung der Formen kompensiert. Dies ist zum 1. der Kampf selbst und zum 2. die Solidarität. Altvater etwa hat letztere als „soli­darische Ökonomie“ im Buch „das Endes des Kapitalismus wie wir ihn kennen“ sogar in den Rang einer Produktionsweise erhoben, vom Anspruch her also durchaus vergleichbar mit Christians Produktionsweise Behauptungen bei der Peerökonomie. Doch kann sie allenfalls als Zufallslösung herhalten, weil hier kein materialistischer Gesellschaftszusam­menhang konstituiert wird, sie also nur moralisch wirkt in Abhängigkeit von vielerlei, auch völlig ge­gensätzlichen Nebenumstän­den. Altvater – der die schwa­che Wirkung der Solidarität für das 20. Jahrhundert sehr wohl sieht – weiß sich keinen anderen Rat als genau darauf zu setzen, wobei die eigentliche Begründung in der Negierung der Bedürfnisse der Menschen durch die liberalen Globalisierungsbestrebungen liegt. Dabei muss er sogar davon ausgehen, eine „solidarische Ökonomie“ sei sogar auf Basis der Wertformen möglich, also auf der Basis einer unbewussten Gesellschaftlichkeit die sich bekanntlich dadurch auszeichnet, dass sie nur hinter dem Rücken der Akteure funktioniert. Michael Heinrichs sehr vor­sichtigen, von der hier angesprochenen Schwäche dominierten Versuch, die kapitalistische Warenproduktion selbst zu problematisieren („Kritik der politischen Ökonomie. Eine Einführung.“ S. 216 ff), führt er sogar ein Stück weit ad absurdum, weil er keine innere Verbindung zwischen dieser Warenproduktion und ihrer möglichen Aufhebung sieht. Das eigentliche Problem löst er so natürlich nicht und dokumentiert da­mit zugleich, dass bisher marxistisch noch nicht mal eine Lösung angedacht werden konnte bei der nicht im Mittelpunkt irgendwelche abstrakten Annahmen standen:

„Die Frage stellt sich aber, ob und inwiefern die ökonomische und politische Praxis über kapitalistische Formen hinausweist. Was ist das transzendierende Potential von so­lidarischer Ökonomie und nachhaltiger Gesellschaft?“ (Altvater, S. 203).

Da er darauf keine Antwort hat, wird der Rückgriff auf die traditionellen Vorstellungen wieder in den Mittelpunkt gerückt und etwa Holloways Machtkritik (als Kritik am Desaster des Realsozialismus) auf das schärfste kritisiert, obwohl er die Schwierigkeiten der Machtausübung – angesichts eines nicht greif­baren, also abstrakten Subjektes, welches diese Macht ausüben könnte bzw. müsste – nicht aushebeln kann. So lange die notwendige Gesellschaftlichkeit nicht da existiert, wo sie hingehört, also bei der ungeheuren Mehrzahl der geselllschaftlichen Individuen, können die Lösungen nur sehr zweifelhafte sein, weil sie Ersatzsubjekte brauchen, um die fehlende Gesellschaftlichkeit der Individuen zu ersetzen.

Die Gesellschaftlichkeit der heutigen Gesellschaften ist einerseits nun zwar weitgehend diesem be­schränkten historischen Stand entwachsen – was sich ja u. a. darin zeigt, dass die scheinradikalen Poli­tikformen etwa der KPD aus der Zwischenkriegszeit nicht wirklich wiederholbar sind – eben weil der Geschichtsverlauf praktisch klar gemacht hat, dass die den Anhängern versprochene ! Lösung aus der Beziehung zwischen Führung und Gefolgschaft gar keine war. Was zugleich den Irrtum der K-Gruppen-Bewegung im Gefolge der so genannten Studentenbe­wegung markiert, die ahistorisch glaubte, den roten Faden scheinbar unterbrochener, in Wirklichkeit aber bereits vollständig gescheiterter „kommunistischer“ Politik wieder aufgreifen zu können. Ulis „Beweis“ beweist daher vor allem, dass die Inhalte dieser vergangenen Arbeiterbewegungsverhältnisse intellektuell noch nicht wirklich überwunden sind, in denen die Masse der Arbeiterinnen nur die Aufgabe hatte, den Parolen ihrer Führer Folge zu leisten die das abstrakte Gesamtinteresse managten (zu den hier vorhandenen Widersprüchen; erfüllten, hintergangenen und oder zurückgewiesenen Ansprüchen: Klaus-Michael Mallmann, „Kommunisten in der Weimarer Republik. Sozialgeschichte einer revolutionären Bewegung“). Dieser ‚Manager-Sozialismus‘ hat sich erledigt und auch das weinerlichste Selbstmitleid der verhinderten Manager kann die „Schreie“ (Holloway) der „übergroßen Mehrzahl“ nicht übertönen – einer Mehrzahl die natürlich mit diesen Verhältnissen keinen wirklichen Frieden machen kann.

Andererseits ist freilich ebenso offensichtlich der notwendige, neue Gesellschaftlichkeitsgrad für den nächsten qualitativen Sprung der „übergroßen Mehrzahl“ nach vorn noch nicht erreicht, dazu müssen deren „Schreie“ sich in ein bewusstes Handeln verwandeln, mit dem sie sich ihre Gesell­schaftlichkeit aneignen können. Stefan Breuers Behauptung jedoch, die Revolution sei

„nicht länger aus der immanenten Dialektik des Kapitals zu begründen“, weil „die Arbeiterbewegung in ihrem blinden Wechsel von reformistischer Inte­gration und verzweifeltem Voluntarismus demonstrierte, dass es durchaus keinen not­wendigen Zusammenhang zwischen Kritik der politischen Ökonomie und Revolutions­theorie in dem von Marx unterstellten Sinne gab, dass >in dem positiven Verständnis des Bestehenden< >zugleich auch das Verständnis seiner Negation, seines notwendigen Untergangs< (MEW 23, S. 28) eingeschlossen sei, gab sie die höhnische Antwort des Kapitals auf die Hoffnung des revolutionären Sozialismus, dass die bürgerliche Gesell­schaft im Proletariat als einer gleichsam exterritorialen Instanz ihre absolute Grenze ge­funden habe“ (Die Krise der Revolutionstheorie, S. 63, Frankfurt a. M. 1977)

ist allerdings zu revidieren. Denn „das Verständnis des Bestehenden“ hat das Bestehende in der Zeit nach Marx bisher genau nur völlig unzureichend erfasst, so dass die Veränderungsansätze gar nicht da angesetzt haben, wo sie aber hätten ansetzen müssen, um überhaupt erfolgreich sein zu können (Gesellschaftlichkeitsentwicklung statt Machtübernahme, da Machtübernahme eine entsprechende Gesellschaftlichkeitsentwicklung voraussetzt).

Die absolut mögliche, praktische Erkenntnis, dass das in der gegenseitigen Abhängigkeit aufscheinende Verhängnis ein solches nicht sein muss, da die Pro­duktion für die Bedürfnisse der Anderen ihres Zwangscharakters beraubt wird, wenn sie erst zum Gegenstand der persönlichen Sorge und der persönlichen Verantwortung „der übergroßen Mehr­zahl“ gemacht werden kann und damit dann stattdessen auf Basis einer bewussten Handlung der Individuen stattfindet. Dieses bisherige ‚Versagen‘ lässt sich der „übergroßen Mehrzahl“ daher überhaupt nicht ankrei­den, der Versuch allein zeigt schon, wie klein das Verständnis dieser Zusammenhänge bisher ist. Das bisherige Festsitzen in einer Sackgasse betrifft alle. Nur die selbst ernannten Durchblicker schwelgen in Selbstmitleid, hantieren lieber mit Schuldzuweisungen und fühlen sich den „Normalos“ ja sooo überlegen, anstatt sich an vernünftigen Erklärungsversuchen abzuarbeiten. Ein realistischeres und damit notwendigerweise kritischeres Selbstbewußtsein sieht anders aus.

Bochum im Juni 2009