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Gedanken zu »Moolaadé« von Johannes Stockmeier

Hier also meine Version, eher ein Paraphrase über den Film, gespeist durch nigerianische Eindrücke. Ich setze Ulis Rezension voraus und teile seine Position, was die Einschätzung der gegenwärtigen Situation Afrikas angeht. Was zukünftige Perspektiven betrifft, kann ich in dem was in der Figur der Collé repräsentiert ist und gefeiert wird allerdings nur ein Moment sehen. So glatt und so integer wird’s nicht abgehen.

Sembène rückt die Figur der Collé ins Zentrum, mich interessiert im Film vor allem eine Nebenfigur, das ist der sogenannte Söldner, der Händler, der das Potential eines tragischen Helden in sich birgt. Insgesamt ist Moolaadé für das gegenwärtige Afrika im quantitativen Sinne nicht mehr repräsentativ; solche ökonomisch-sozialen Verhältnisse wie sie sich in dem Dorf vorfinden, sind noch vielfach vorhanden, bilden aber zunehmend die Ausnahme in ganz Afrika. Das bedeutet nicht, daß der Film nichts zu sagen hätte, in Hinblick auf die sozialen Konflikte der Gegenwart. Sembène geht es darum die Kraft zu beschwören, welche gesellschaftliche Veränderung aus der eigenen afrikanischen Tradition heraus bewegen kann, selbstverständlich in der Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen westlichen Kultur. Deswegen geht er von einem Ort aus, in dem die überkommenen Strukturen noch einigermaßen intakt sind. Das ist vollkommen berechtigt, macht sein Anliegen deutlich, und er destilliert dadurch etwas heraus, was sich so rein und deutlich als eigenes Erbe identifizierbar in den stärker in die Globalisierung hineinbezogenen Regionen nicht mehr finden lässt. Diese Regionen sind es aber um die es geht, ihre Ausweitung ist unvermeidlich, das weiß auch Sembène und er macht daher den Versuch den globalisierten Afrikanern das Bewußtsein ihrer Autonomie zurückzugeben. Er spricht zu jenen Afrikanern die in den Regionen leben, aus denen der „Söldner“ kommt, und die aus ihnen herausgehen, um die Globalisierung noch ins letzte Dorf zu tragen. Der Söldner ist ein Mittler, seine Existenz ist aber auch typisch für den Verkehr der Individuen innerhalb der stärker globalisierten Zonen selbst untereinander.

Der „Söldner“ ist Ferment, nichts an seiner Existenz weist Stabilität auf, er ist reine Dynamik, ein in einem bestimmten Stadium festgehaltenes Übergangsphänomen. Er ist der konsequente Selbstwiderspruch, er lebt davon, das zu untergraben, was die Bedingung seiner eigenen Existenz ausmacht. Sein System: ein Handel, der den vielleicht kurzfristigen Vorteil unzureichender verkehrstechnischer Erschließung nutzt, um unverhältnismäßigen Gewinn zu erzielen. Er setzt dabei nicht nur auf sein Monopol sondern auch auf subtile Erpressungen der Dorfbewohner, indem er in Gewinnerzielungsabsicht traditionelle Tabus instrumentalisiert. Dafür muß er selbst über den Gemeinschaftsregeln stehen, kann ihnen aber keine anderen entgegensetzen und ist so unerbittlich auf ein absolut egoistisches Handeln zurückgeworfen. Ständig ist er hinter Frauen her, kann aber keine Bindung eingehen. Der Code permanenter Brunft, vermengt mit Geschäftsgebaren – vulgär und aufdringlich wie ein billiges Parfüm – wirkt unter etablierten kapitalistischen Verhältnissen als Konsummotor und also Gesellschaft stabilisierend. Unter dortigen Verhältnissen, ist es ebenso Konsum fördernd, wie Gesellschaft zersetzend. Der Söldner mischt das Dorf ökonomisch wie sozial kräftig auf, was erstaunlicherweise genau solange akzeptiert wird, wie er nur im eigenen Interesse handelt und nicht die vorhandenen Strukturen durch andere ersetzen will. In dem Augenblick, wo er im Sinne von Humanität und Vernunft agiert, wird er beseitigt. In diesem Söldner kann ich den modernen Afrikaner erkennen. Nicht-Integrität und Selbstwiderspruch ist sein Überlebensprinzip. Aus der Sicht der alten Ordnung kann er nur als Gemeinschaftsschädling gelten. Auch aus der Sicht stabiler kapitalistischer Verhältnisse ist er nur eine zwielichtige Figur. Doch ist er damit geradezu der Prototyp der Modernisierung, formationsübergreifend. Er gemahnt an den ‚listigen‘ (ein Euphemismus, gelinde gesagt) Odysseus, auch an Stammvater Jakob, der alle sozialen Ordnungen umstößt, nicht indem er als hehrer Revolutionär aufbegehrt, sondern durch Betrug, Übertölpelung, Lüge und Verrat. Wo man das Unzulängliche des Tradierten einerseits erkennt, andererseits ihr nichts Konkretes entgegenzusetzen hat, was kann man da anderes tun als sich im Selbstwiderspruch zu bewegen? Kein Prinzip bei Jakob/Israel, das man als Moment einer neuen Ordnung erkennen könnte. Und doch bewegt sich Jakob mit dem Segen Gottes, den er zuvor buchstäblich über den Tisch gezogen hat. Es erschüttert mich, dieser Söldner, trotz des versöhnlichen Aspektes seiner ungebrochenen Lebensfreude, seines Mutes, des größeren Überblicks, wer will schon etwas mit solchen Typen zu tun haben? Ja, die aufrechte Collé, damit kann man sich leicht identifizieren. Doch wie weit reicht ihre Kraft? Genügt es auf ihre Einsicht zu setzen und zu hoffen, sie werde sich über die chaotischen Umwälzungen, die um sie herum geschehen, erheben? Ich will den Versuch machen beides, das Chaos und die Vernunft, als Momente eines Prozeßes miteinander zu verbinden.

Die wahren Agenten des Fortschritts sind nicht Kameraden ohnegleichen, die sich zu für die Freiheit sterbende Kolonnen zusammenschließen, sie sind auch nicht nur solche spontan sich zusammenfindenden „zivilgesellschaftlichen“ Interessengruppen, wie die Frauen in Moolaadé, die punktuell einmal etwas Vernünftiges erreichen. Dazu sind solche Phänomene immer noch zu selten, werden von Gegentendenzen bei weitem überlagert und wer seine Hoffnung auf das Anwachsen dieser setzt, der baut auf etwas höchst Spekulatives. Soziale Bewegungen, kleine Zusammenhänge, die unter veränderten äußeren Bedingungen versuchen, ein gemeinschaftliches Leben in gegenseitiger Verantwortung und Integrität zu organisieren – welche Theorie hätte denn den Überblick, darin die Tendenz zu erkennen? Auch ich hoffe, auch mir ist das ein Bild eines möglichen zukünftigen Anderen. Nur, es bleibt ein Bild, ich würde nicht so weit gehen zu sagen, daß direkt aus solchen Initiativen die neue Gesellschaft entsteht, etwa durch eine Ausweitung, die sich, wie immer, organisch oder revolutionär vollzieht. Was wir erkennen können, das ist der Umbruch des Bestehenden nur darin allein lassen sich Möglichkeiten ablesen, die auf etwas zukünftig Stabiles, auch außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft verweisen. Das chaotisch Umwälzende, nicht die schon gefundene Stabilität ist das entscheidende Ferment. Mache ich da eine Neuauflage des kommunistischen Manifestes? Nicht ganz, das Manifest geht noch von einer vollständigen Kapitalisierung aus, die Umwälzung wird durch die Kapitalisierung selbst vollzogen, ich beschäftige mich mit einer Umwälzung, die sich möglicherweise schon mit dem Verfall kapitalistischen Form bewegt.

Ich suche meine Helden unter windigen Kleinhändlern, Internet-Abzockern, gut geschmierten Beamten, öligen Erweckungspredigern und ihren Zwillingsbrüdern, Radau-Islamisten, die Wasser predigen und – Allah sei Dank! – Wein trinken. Die Emanzipation der Frau wird in großem Stil vorangetrieben durch hysterische Pfingstlerinnen, die schon beim Beten ihren eigenen Hausrat zertrümmern und die alle familiären Bande verlassen und sich auf den schwankenden Boden ihrer Gemeinden begeben. Das freie Individuum behauptet sich in Form von geschmacklos aufgemotzten Gören, mit gebleichter Haut, die von Zuhause ausgerissen sind und sich mit Gleichgesinnten zusammenzuschließen, um auf Partys zu marodieren. Sie lassen sich von Sugar Daddys aushalten, aber niemand kann sie kontrollieren. Sie übernehmen höchstens soziale Initiative, wenn sie eigene Kinder haben. Ansonsten wird jeder der näher mit ihnen verkehrt, sie alle zusammen in jenen sprichwörtlichen Sack stecken wollen, um draufzuhauen. Auf der anderen Seite muß es den Area-Boys, mafios organisierten Berufsmachos, allein deshalb schon um die Auflösung überkommener patriarchaler Strukturen zu tun sein, um ungehindert Frauen aufreißen zu können (das geht alles vorzüglich zusammen mit religiöser Bigotterie, dem Traum von der heiligen Familie). Es ist den Boys nicht bewußt, daß sie mit ihrem Treiben ihren eigenen Ast absägen und schieben das unvermeidliche Platzen chauvinistischer Herrschaftsträume auf ein ontologisches Verhängnis – ‚woman na palava‘. Wer in modrigen Palmweinschänken Frauen anlabert, die er noch nie zuvor gesehen hat, mag nicht gerade als Vorkämpfer weiblicher Emanzipation gelten. Die Frage ist, ob er nicht mehr bewirkt, als wer auf politischer Ebene Gesetzesinitiativen durchkämpft und auch wer ‚Bewußtseinsarbeit‘ an der Basis leisten will.

Was ist denn noch Politik in diesen Ländern, was gelten Gesetze, was Verträge? Weltpolitik, für Afrika eine Show für unterschiedliche Fangruppen. Gibt es einen Unterschied zwischen den Jungs in Südnigeria, die in George Bush ihren Haudrauf-Kasperl sehen, der es den Moslems mal so richtig zeigt und denen im Norden, die in Bin Laden T-Shirts herumlaufen? Es handelt sich um austauschbare Identifikationsangebote, die nicht konkrete eigene Interessen repräsentieren (einschließlich der religiösen), sondern als bloße Chiffren des bellum omnium contra omnes orientierungsloser Clans und atomisierter Individuen stehen. Lokalpolitik, ein Selbstbedienungsladen eines für unsere Verhältnisse unübersehbaren Knäuels unterschiedlicher Lobbys und pressure groups. Globalisierung heißt, daß zunehmend die Weltpolitik in die Lokalpolitik einzieht, aber nicht um das Knäuel aufzulösen, sondern um sich darin zu verstricken. Wie es geschieht in Afghanistan und im Irak, so geschehen in Somalia, in Liberia, in Sierra Leone, Angola, im Kongo, im Sudan, im Tschad, aber auch etwas unblutiger in Südafrika, Nigeria und ich wüsste von keinem afrikanischen Land wo es nicht so ist oder auf absehbare Zeit so sein wird. Dem Kapital fallen die Zähne aus, es hat nicht mehr die Kraft, ganze Regionen aufzusaugen, in Afrika reicht es nur noch zur Ressourcensicherung. Es dringt schon vor, in die lokalen Ökonomien und ins Bewußtsein, aber das reicht gerade noch aus, um alles aufzumischen, nicht um etwas neu zu strukturieren. In diesen brackigen Regionen überdauert der Typus „Söldner“ mit erstaunlicher Hartnäckigkeit. Er arrangiert sich pragmatisch mit der Politik, bleibt dabei zynisch und gewitzt, immer auf den eigenen Vorteil bedacht.

Aber – auch für diesen Typus hat die mythische Überlieferung Afrikas schon eine Rolle vorgegeben und das könnte eine heimliche Pointe in Sembènes Film sein. In allen afrikanischen Erzählungen gibt es eine Trickster-Figur, bei den Yoruba in Nigeria ist es z.B. die Gottheit Eshu. Ein unangenehmer Patron, wer sich auf ihn einlässt, ist leicht der Betrogene, aber für bestimmte heikle Missionen ist er unverzichtbar. Von den christlichen Missionaren als Teufel mißverstanden und verbannt, ist es Eshus vornehmste Aufgabe zwischen den Geschlechtern zu vermitteln. Am Ende des Films erfüllt unser Held diese Mission, indem er ganz aus seiner Tricksterrolle herausspringt. Und er befriedet damit die Geschlechter in einer Weise, die Weichen stellt. Ratlosigkeit herrscht unter den Patriarchen, die die Aussichtslosigkeit ihres Gewaltexempels einsehen, die aber fürchten ihr Gesicht zu verlieren. Da springt der Mittler von außen ein, ein Deus ex machina, in der Tat, der Einzige, der diese Aufgabe erfüllen kann. Collés Ehemann ist geradezu erleichtert, als ihm die ihm aufgezwungene Peitsche entwunden wird. Es ist von nun an klar, daß rohe physische Gewalt zur Aufrechterhaltung des Patriarchats nicht mehr in Betracht kommt. Es kann nur den Schein seiner Herrschaft noch einmal wahren, indem seine Rache den Mittler, anstelle der Frauen ereilt. Aber der Trickster hat seine Rolle sowieso erfüllt, in einer endgültigen Weise. Er ist überflüssig geworden, sein Ende ist nur logisch. Das ist großartiges rituelles afrikanisches Theater! So wie in Wole Soyinkas ‚Death and the King’s Horseman‘ der ungenannte Gott Ogun, Lotse durch unbekannte Regionen, mit seinem Selbstopfer ein neues Äon anstößt, geht bei Sembène das Tricksterwesen, Inbegriff alles Ungelösten, aller historischen Unvollkommenheiten, in der Utopie einer neuen Integrität einer durch Humanität und Vernunft bestimmten Gesellschaftlichkeit auf. Nun mag es ein sehr europäischer Gedanke sein, daß es mit der Trickserei einmal ein Ende nehmen muß, daß krumme Wege gerade und Widersprüche aufgehoben werden sollen. Universal ist aber die Sehnsucht nach einer Versöhnung der Geschlechter, die nur mit der Aufhebung des Patriarchats, damit aber der Überwindung sowohl vormoderner, als auch der kapitalistischen Vergesellschaftungsform zu machen ist. Jenseits des Zwanges vormoderner Strukturen, wie auch der Kapitalverwertung hat der Söldner ausgedient. Die Zukunft gehört dem selbstbewußten, sich frei assoziierenden Individuum, wie es in Collé schon angedeutet ist. Doch ist sie selbst zu ungebrochen, zu unerfahren, zu wenig etabliert, um dort von allein anzukommen. Es bedurfte des Söldners, der den schmerzhaften Prozeß des Verlustes aller alten Sicherheiten durchläuft, um ihr Recht zu etablieren. Folgt man Frantz Fanon, so ist der afrikanische Mann stärker der kolonialen Gehirnwäsche unterworfen, stärker in seiner materiellen wie geistigen Existenz verunsichert, als die Frau. Nun gilt das heutzutage, wie ich dargestellt habe, nur noch bedingt. Nichtsdestoweniger ist es ein grundlegender Gedanke des Womanism, der afrikanischen Variante des Feminismus, daß die Befreiung aus patriarchalem Zwang nur in einer gemeinsamen Anstrengung beider Geschlechter gelingen kann. Ein Gedanke, der in Afrika gedacht werden kann, wo beide Geschlechter gleichermaßen Opfer des Kolonialismus sind. Der Gedanke ließe sich ausweiten. Der moderne Kapitalismus ist ein verinnerlichtes Patriarchat, bei dem es fast keine Rolle mehr spielt, ob Männer oder Frauen an den Schalthebeln der Macht sitzen. Stimmt meine Interpretation des Söldners, also des modernen Afrikaners -und damit auch der Afrikanerin-, als Trickster, dann tragen beide Geschlechter die Vermittlung schon in sich. Die Aufhebung ist dann ein Akt, der sich sowohl zwischen den Geschlechtern, als auch innerhalb der Individuen selbst abspielt. Der Trickster wird zum Katalysator einer autonom afrikanischen Aufklärung. Durch sein Medium, daß sich im Prozeß der Transformation selbst auflöst, wird auch die europäische Erfahrung transzendiert.