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Das Verhältnis des Historischen zum Überhistorischen

Von Matthias Schulz

[Kopie aus opentheory.org inkl. der Diskussion]

(1) Es gehört schon sehr viel dazu, diese Gesellschaft als nur historisch , als vorübergehend und damit als veränderlich zu erkennen. Leider gelangen nur sehr wenige zu dieser Einsicht. Dennoch soll es in diesem Text darum nicht gehen, sondern ich möchte das voraussetzen.

(2) Wenn man einmal so weit gekommen ist, passiert es leicht in ein anderes Extrem zu verfallen, nämlich nichts überhistorisches mehr gelten zu lassen. Alles soll nur noch vergänglich sein und nichts Bleibendes an sich haben. Es ist selbstverständlich ganz richtig, das alles was ist, immer historisch ist. Das heißt aber nicht, das daran nichts Bleibendes sein kann, denn dann könnte es in nichts anderes übergehen. Das Neue in das es übergeht, muss dem Alten bereits immanent gewesen sein, sonst kann es nicht daraus hervorgehen. Damit ist es aber ein Bleibendes, welches nur seine Form ändert. Soll etwas also nur historisch sein, kann es in nichts anderes übergehen und ist so ewig, fest, starr, ohne Entwicklung. Es ist genau das, was man eigentlich überwinden wollte. Ganz abgesehen davon, das die Aussage, das alles historisch ist, immer zutrifft, also selbst überhistorisch ist.

(3) Alles was ist, ist also sowohl historisch als auch überhistorisch. Wie ist dieses Verhältnis nun näher zu bestimmen? Das Bleibende an Etwas ist was es ist, das es ist, der Inhalt. Dieser Inhalt muss sich realisieren, muss auf bestimmte Art und Weise sein. Dieses wie er ist, ist die Besonderheit, die Bestimmtheit, ist die Form. Und er muss auf irgendeine Weise sein, sonst ist er gar nicht. So ist der Mensch immer ein gesellschaftlicher, wozu gehört, das diese Gesellschaftlichkeit immer eine historisch besondere Form annimmt.

(3.1) Ein Inhalt, viele Formen, 26.02.2007, 11:49, Stefan Meretz: Verstehe ich dich richtig, dass du von einem konstanten Inhalt und vielen sich ändernden Formen (Besonderheiten, Bestimmtheiten) ausgehst?

(3.1.1) Re: Ein Inhalt, viele Formen, 29.03.2007, 11:00, Matthias Schulz: Ich weiß nicht recht, was du unter „konstantem Inhalt“ verstehst. Man darf sich hier nicht vorstellen, das der Inhalt für sich schon etwas wäre. Für sich genommen ist er ganz unbestimmt, ohne Realität.
Das konkrete Ganze ist aber immer ein Bestimmtes, eine bestimmte Weise der Realisierung. Diese Realisierung ist, wie etwas ist, die Form. Veränderung ist immer Veränderung in der Bestimmtheit, damit der Form.

(3.1.2) Re: Ein Inhalt, viele Formen, 29.03.2007, 11:31, Matthias Schulz: Ich gehe im Übrigen auch nicht davon aus, in dem Sinne, dass es ein Vorrausgesetztes wäre, sondern im Gegenteil, dieses Verständnis hat sich mir als Resultat meiner Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Verhältnissen ergeben.

(3.2) Was ist Inhalt, was die Form?, 26.02.2007, 12:00, Stefan Meretz: Ich denke, dass wir genau sagen müssen, was der Inhalt und was seine Form ist. Hier vermischst du IHMO die gesellschaftstheoretische und individualtheoretische Ebene: Die „Gesellschaftsform“ ist nicht die Form des Inhalts „Gesellschaftlichkeit des Menschen“. Gesellschaftsform ist eine gesellschaftstheoretische Kategorie und Gesellschaftlichkeit des Menschen eine individualtheoretische. Klar kannst du das nicht trennen, aber du musst es begrifflich unterscheiden.

(3.2.1) Re: Was ist Inhalt, was die Form?, 29.03.2007, 11:12, Matthias Schulz: Ich verstehe sowohl die menschliche Gesellschaft, als auch den gesellschaftlichen Menschen als gesellschaftstheoretische Kategorien. (In dem Sinne, das die besondere Weise des gesellschaftlichen Menschen jetzt die Warenmonade ist.) Der Inhalt wäre dann, dass sie nur zusammen ein Ganzes ausmachen, im Verhältnis zueinander stehen. Die Form ist dann das jeweils bestimmte Verhältnis.

(3.3) Inhalt-Form-Paare, 26.02.2007, 12:03, Stefan Meretz: Die „richtigen“ Inhalt-Form-Paare lauten: a) Gesellschaftlichkeit des Menschen und realisierte Gesellschaftlichkeit zum Beispiel durch Position in einer feudalen Hierarchie oder als Beruf in der bürgerlichen Gesellschaft; b) Produktivkraftentwicklung und Vergesellschaftungsform – vgl. dazu http://www.opentheory.org/vergesellschaftung/text.phtml

(4) Die Form ist nun allerdings keine beliebige. Der Inhalt realisiert sich nicht irgendwie und er kann auch nicht in seinem ganzen Umfang unmittelbar vorhanden sein. Er verwirklicht, entwickelt sich, seine Momente in notwendiger Weise, und nicht alles mit einem mal, sondern in notwendiger Abfolge. Entwicklung ist so im Übrigen als eine Veränderung der Form anzusehen, nicht des Inhalts.

(4.1) 06.02.2007, 17:06, Konrad Stoeber: Wenn das so ist, das sich am Inhalt nichts verändert, wieso sollte dann die Form sich verändern. Entwickelt sich die Form trotzdem, wäre die Formentwicklung gleichgültig gegen die Veränderungen des Inhalts. Bleiben wir für einen Moment nicht im Reich der philosophischen Kategorien, hieße das, dass die Produktivkräfte als Inhalt, gegen die gesellschaftliche Form gleichgültig wären ?

(4.1.1) Inhalt – Form, 08.02.2007, 18:31, Konrad Stoeber: Korrigiere obiges wie folgt: … wäre die Formentwicklung gleichgültig gegen den sich selbst gleichbleibenden Inhalt.
Der Inhalt – etwa Produktivkräfte – entwickelt sich nicht ?

(4.1.1.1) Re: Inhalt – Form, 09.02.2007, 17:20, Matthias Schulz: Unser Unterschied ist hier wohl, das meinem Verständnis nach alles was ist, eine bestimmte Realisierung, Form seiner selbst ist, also sowohl Inhalt als auch Form. Einen Inhalt ohne Form, also ohne Realität, gibt es nicht.
Vielmehr ist das sich entwickeln, realisieren, also die Form, dem Inhalt ganz immanent. Trennt man beide voneinander, sind es nur noch abstrakte Kategorien.
Das was sich entwickelt bleibt insofern trotz aller Veränderung ganz bei sich.

(4.1.1.1.1) Re: Inhalt – Form, 10.02.2007, 19:33, Konrad Stoeber: Was ich nicht nachvollziehen kann, ist, dass die Form dem Inhalt Realität verleiht. Im Kommentar zum nächsten Abschnitt wird vielleicht deutlicher, warum.
Den letzten Satz verstehe ich nicht.

(4.1.1.2) Produktivkräfte, 09.02.2007, 17:28, Matthias Schulz: In dem Sinne würde ich auch die Produktivkräfte nicht als nur ein Inhalt begreifen. Sie sind ja gerade das historisch bestimmte Niveau, inwiefern das objektiv Vorhandene, die äußere Natur und die des Menschen hervorgebracht, für uns geworden ist. Auch hier ist es nur eine Änderung der Form, nämlich ob es für mich geworden ,oder erst nur an sich ist und mir damit nicht zur Verfügung steht.

(4.1.1.2.1) Re: Produktivkräfte, 10.02.2007, 21:21, Konrad Stoeber: Wenn Du mit diesem Text meinst, dass die Menschen in Ihrem praktischen Lebensprozeß die Bestimmtheit der äußeren Natur und ihre eigene Bestimmtheit hervorgebracht haben, stimme ich Dir zu.
Der Prozeß der Auseinandersetzung mit der Natur ist selbst formiert, insofern nicht nur Inhalt. Deinen letzten Satz würde ich folgendermaßen lesen: In der Produktion erfährt der Arbeitsgegenstand eine Formveränderung.

(4.1.1.2.2) Re: Produktivkräfte, 10.02.2007, 21:27, Konrad Stoeber: Wozu dann aber die völlig unbestimmte Natur „an sich“ will mir nicht einleuchten. Der Arbeitsgegenstand ist doch kein „an sich“ seiender Gegenstand. Was willst Du damit erklären oder retten ?
Die Möglichkeiten, die sich im „An sich“ verbergen? Da das „An sich“ unbestimmt ist, kannst Du auch nichts sinnvolles über dessen Möglichkeiten aussagen.

(4.1.1.3) Re: Inhalt – Form, 26.02.2007, 12:13, Stefan Meretz: Konrad: „Der Inhalt – etwa Produktivkräfte – entwickelt sich nicht?“ – Hier ist wieder die Frage: Was ist Inhalt, was ist Form? Produktivkräfte ist ja schon selbst ein Formbegriff, er drückt das historisch spezifische Verhältnis von Mensch, Mittel und (äußerer) Natur als „Inhalt“ aus. Der Inhalt (die Tatsache, dass sich der Mensch Mittel bedient, um seinen Naturstoffwechsel zu betreiben) ist demgegenüber immer gleich, nur in welcher Weise es sich historisch entwickelt, ändert sich.

(4.1.1.3.1) Re: Inhalt – Form, 03.03.2007, 18:44, Konrad Stoeber: „Produktivkräfte“ drückt in der Tat den Stoffwechselprozeß mit der Natur mit den genannten „Bestimmungsstücken“ aus. Dein folgender Satz mit „in welcher Weise es sich historisch entwickelt“ bleibt allerdings vage. Was bei Dir als Inhalt fungiert, ist abstrakt Allgemeines, ein Beispiel davon wäre abstrakt Einzelnes, etwa Brot im Backofen backen.
Der historische Unterschied erscheint dann im „Wie“, in der technologischen Produktionsweise von Brot: Im Gemeindebackofen oder in der Brotfabrik. Damit ist ausdrücklich nicht die unterschiedliche Formbestimmtheit nach der gesellschaftlichen Seite hin angesprochen.

(4.1.1.3.2) Re: Inhalt – Form, 03.03.2007, 18:52, Konrad Stoeber: Für die verschiedenen Produkte läßt sich das empirisch relativ leicht zeigen. Für den gesamten Komplex gesellschaftlicher Produktivkräfte liegt das allerdings nicht so offenkundig auf der Hand, zumal die technologischen Produktionsweisen in einer Gesellschaft selbst beim gleichen Produkt nicht homogen sind. (Bäcker an der Ecke und Backwarenfabrik im Gewerbegebiet nebenan).

Geschichte

(5) So ist die ganze bisherige Geschichte als eine schrittweise Realisierung, Verwirklichung dessen, was den gesellschaftlichen Menschen in seinem und die menschliche Gesellschaft in ihrem ganzen Umfange ausmacht. Eine historische Epoche entwickelt so ein Moment dieses ganzen Umfangs, wobei dieses eine Moment in dieser Epoche den ganzen Umfang ausmacht, es also nicht als Moment, sondern als das Ganze ist. Erst wenn dieses Moment vollständig entfaltet ist, kann die Entwicklung fortschreiten. Und das kann sie, weil dieses Moment, welches zuvor den gesamten Zusammenhang ausmachte, tatsächlich nur ein Moment eines umfassenderen Zusammenhanges ist und so auf diesen verweist. Damit wird es nur zu dem gemacht, was es tatsächlich ist, nämlich herabgesetzt zu nur noch einem Moment eines umfassenderen Ganzen.

(6) Es ist allerdings nicht so, das nur dieses eine Prinzip, welches einer Epoche zugrunde liegt, existieren würde und der ganze Umfang der menschlichen Gesellschaft noch gar nicht wäre. Denn es ist ja die menschliche Gesellschaft, die sich auf historisch besondere Weise realisiert, so ist sie auch immer in ihrem ganzen Umfange vorhanden. Aber dieser gesamte Umfang ist eben von nur einem Moment seiner selbst strukturiert, konstituiert und nicht von sich als Ganzes. Damit ist also das allgemein menschliche immer vorhanden, nur eben noch relativ unentwickelt.

(6.1) Der ganze Umfang, 26.02.2007, 12:17, Stefan Meretz: Was ist denn der „ganze Umfang der menschlichen Gesellschaft“? Von welchem Moment des Ganzen ist dieser Umfang denn zur Zeit strukturiert?

(6.2) Inhalt und Momente, 26.02.2007, 12:22, Stefan Meretz: Verstehe ich dich richtig, dass die historisch sich verändernden Formen des konstanten Inhalts die Momente dieses Inhalts sind?

(6.2.1) Re: Inhalt und Momente, 29.03.2007, 11:51, Matthias Schulz: Ich denke schon.

Menschliche Gesellschaft

(7) Einerseits habe ich also diesen überhistorischen Inhalt des gesellschaftlichen Menschen und andererseits die historische Form seiner Realisierung, wobei diese Form immer nur ein Moment dieses ganzen Inhalts verwirklicht und nicht diesen in seinem ganzen Umfange. In diesem Sinne würde ich von Vorgeschichte sprechen, denn diese Entwicklung ist keine Endlose, sondern hat ein Ziel nämlich, dass was den gesellschaftlichen Menschen und die menschliche Gesellschaft in ihrem Gesamt ausmacht auch zu realisieren. Das heißt, dass das Historische und das Überhistorische zusammenfallen, also eine Epoche ist, der der vollständig entfaltete gesellschaftliche Mensch zugrunde liegt und die diesen in seinem ganzen Umfange und Besonderheit entwickelt. Das ist Kommunismus und der Beginn der eigentlichen Geschichte.

(7.1) Re: 5-7, 06.02.2007, 17:08, Konrad Stoeber: Das riecht mir alles sehr Präformation. Alles ist schon angelegt, da und muß „nur noch“ realisiert werden. Auf diese Weise entstünde nichts qualitativ Neues. Außerdem fürchte ich, dass sich hinter der Formulierung „allgemein Menschliches“ „in seinem ganzen Umfang“ wieder eine abstrakte Anthropologie versteckt, ganz abgesehen davon, dass ich keine Ahnung habe, was Du unter „allgemein Menschlich“ verstehst.

(7.1.1) Neues, 09.02.2007, 17:41, Matthias Schulz: Kann man sich denn Neues so vorstellen, das es aus dem nichts kommt? Es muss doch wenigstens als Potenz bereits vorhanden sein. So ist es erst noch ganz eingeschlossen, noch nicht realisiert, dann aber entwickelt und so überhaupt erst vorhanden. Das ist doch ein gigantischer, qualitativer Unterschied, oder?
Das weitere ist, dass das, was sich entwickelt nicht realisiert wird, sondern sich realisiert, damit seiner Entwicklung vorausgesetzt ist.

(7.1.1.1) Re: Neues, 10.02.2007, 21:39, Konrad Stoeber: Neues geht natürlich nicht aus dem Nichts hervor, sondern aus dem Alten. Die Frage also genauer gestellt: Ist das Neue im Alten als Potenz vorhanden ? Wo war das Puddingpulver vor seiner Entstehung „noch ganz eingeschlossen“ vorhanden ? Doch bestenfalls im Kopf von Herrn Oetker sen.

(7.1.2) allgemein Menschliches, 09.02.2007, 17:51, Matthias Schulz: Es ist ja gerade der Clou, das ich das, was ich unter allgemein Menschliches verstehe, nicht von irgendwoher zu nehmen brauche, sondern die bürgerliche Gesellschaft ja eine besondere Realisierung der menschlichen Gesellschaft ist, ich also durch begreifendes aufschließen der tatsächlichen, vorhandenen Verhältnisse dieses allgemeine Verständnis erhalte, welches ich aber natürlich immer an der konkreten, tatsächlichen Gesellschaft, und dem tatsächlichen, vorhandenen Menschen aufzeigen können muß.

(7.1.2.1) Re: allgemein Menschliches, 10.02.2007, 21:43, Konrad Stoeber: …und was ist das allgemein Menschliche in der bürgerlichen Gesellschaft ?

(7.1.2.1.1) Re: allgemein Menschliches, 12.02.2007, 22:18, Wolf Göhring: Lustreisen

(7.1.2.1.1.1) Re: allgemein Menschliches, 13.02.2007, 08:19, Konrad Stoeber: …ins allgemein Menschliche.

(7.1.2.1.2) Re: allgemein Menschliches, 26.02.2007, 12:26, Stefan Meretz: Das kann man doch ziemlich gut sagen: Alle zivilisatorischen Errungenschaften (was im Einzelnen wir auch immer als solches auch werten wollen). Der Kapitalismus hat damit seine allgemein menschlichen Potenzen entfaltet, aber das ist over, sie sind ausgereizt.

(7.1.2.1.2.1) Re: allgemein Menschliches, 01.03.2007, 15:29, Konrad Stoeber: Die Kehrseiten der zivilisatorischen Errungenschaften bleiben dann einfach ausgeblendet. Sind die nicht allgemein menschlich ?

(7.1.3) Re: 5-7, 26.02.2007, 12:35, Stefan Meretz: Konrad: „Das riecht mir alles sehr Präformation.“ – Das ist Präformation in dem Sinne, dass – nach der Logik des Textes gehend – die dem Inhalt adäquate Form noch nicht entwickelt ist, aber dabei ist, sich zu entwickeln. Es ist keine Präformation in dem Sinne, dass die konkreten Realisationsformen vorgegeben sind. Das qualitativ Neue entsteht in der Tat nicht bzgl. des Inhalts „gesellschaftlicher Mensch“ (etwa durch Entstehung einer neuen biologischen Gattung), sondern „nur“ bzgl. seiner konkreten Realisierungsformen – also etwa der konkreten Lebensweise der globalen Menschheit.

(8) Aufgrund dieses Verhältnisses kann ich die Geschichte erst im Nachhinein begreifen, wenn ich erkannt habe, was sich darin entwickelt. Da das Kommunistische der vollständig realisierte Inhalt ist, so ist es eben dieses, was sich in der Geschichte realisiert. Es ist also Kommunistisches in aller Geschichte und es ist nur das Kommunistische, allgemein Menschliche was in aller Geschichte ist und sich in dieser entwickelt.

(9) Was für den Kommunismus gilt, gelten soll, muss so für die ganze Geschichte gelten, und nur was für die ganze Geschichte gilt, ist kommunistisch. Ich habe so auch das kommunistische in der bürgerlichen Gesellschaft aufzuzeigen, denn nur so kann ich verstehen, wie sie dazu übergehen kann.

(9.1) Kommunistisches in aller Geschichte, 26.02.2007, 12:42, Stefan Meretz: Verstehe ich dich richtig, dass die Argumentation so geht: Wenn das unentfaltete Ganze die Entfaltung von Momenten des Ganzen ist, dann muss Kommunistisches auch in den Momenten sein – weil sie eben Momente des Ganzen sind. – Damit bestätigt sich allerdings nur die angegebene Voraussetzung.

(10) Es ist sich allerdings nicht so vorzustellen, als wäre das Kommunistische, das allgemein Menschliche in irgend einer besonderen Form, oder einer bestimmten Praxis im Kapitalismus vorhanden. Denn das allgemein Menschliche ist als allgemein Menschliches noch nicht realisiert, damit in keiner Form. Das ist es erst im Kommunismus, und dieser ist eben noch nicht. Vielmehr ist das, was den Kapitalismus konstituiert, eine bestimmte Form der Realisierung des allgemein Menschlichen, in der oben beschriebenen Weise und als solche zu begreifen. So ist nach dem Neuen im Alten nicht zu suchen, als wäre es schon irgendwo vorhanden, sondern es ist hervorzubringen und in die Realität zu setzen.

(10.1) Realisiert oder nicht?, 26.02.2007, 13:47, Stefan Meretz: „Denn das allgemein Menschliche ist als allgemein Menschliches noch nicht realisiert, damit in keiner Form. Das ist es erst im Kommunismus, und dieser ist eben noch nicht. Vielmehr ist das, was den Kapitalismus konstituiert, eine bestimmte Form der Realisierung des allgemein Menschlichen“ – „in keiner Form“ und „eine bestimmte Form“ widersprechen sich. Müsste es nicht vielmehr heißen: „Vielmehr ist das, was den Kapitalismus konstituiert, ein Moment der Realisierung des allgemein Menschlichen“? Oder: „Vielmehr ist das, was den Kapitalismus konstituiert, die Form der Realisierung eines bestimmten Moments des allgemein Menschlichen“?

(10.1.1) Re: Realisiert oder nicht?, 29.03.2007, 16:38, Matthias Schulz: „… das allgemein Menschliche ist als allgemein Menschliches noch nicht …“, was ja heißen soll, es ist noch nicht in der Form des allgemein Menschlichen, sondern erst in der Form der bürgerlichen Gesellschaft.

(10.1.2) Re: Realisiert oder nicht?, 29.03.2007, 16:53, Matthias Schulz: Ein Moment des allgemein Menschlichen liegt einer Epoche als Prinzip zugrunde und strukturiert, konstituiert es. Das bedeutet aber nicht, das nur dieses Prinzip existieren würde. Denn das was strukturiert, formiert wird, ist immer das allgemein Menschliche in seiner Gesamtheit.

(11) Außerdem kann das allgemein Menschliche nicht in einer nur beschränkten Weise, also in nur unmittelbaren, kooperativen Verhältnissen auftreten, denn als allumfassend kann es, wenn es sich denn realisiert, nur sogleich auf allgemeinem, gesellschaftlichem Niveau sich verwirklichen.

(11.1) 26.02.2007, 13:50, Stefan Meretz: Mit diesem „Außerdem“ bringst du eine neue Dimension ins Spiel, nämlich die der unmittelbar-kooperativen Beziehungen (inter-individuelle Ebene). Bisher ging es um gesellschaftlich-kooperative Beziehungen (gesellschaftliche Ebene). Was meinst du hier genau? Familienbeziehungen?

Theorie und Praxis

(12) Aus dem oben gesagten erhellt auch das Verhältnis von Theorie und Praxis, von Denken und Wollen. Denken ist nicht einfach das Aufnehmen des schon Vorhandenen, Realisierten, sondern das Hervorbringen dessen, was noch nicht ist, was erst nur an sich, als Potenz ist. Da das über sich Hinausgehen der Sache selbst immanent ist, kann ich, durch begreifendes aufschließen eben dieser, über sie hinausgehen. Ich überschreite so die Grenzen des Gegebenen. Das was zuvor nur erst an sich, als Potenzial war, ist jetzt durch die Theorie für mich geworden und kann so Gegenstand meiner Praxis werden.

(12.1) Re: Theorie und Praxis, 26.02.2007, 13:54, Stefan Meretz: Wie willst du etwas denkend hervorbringen, was nur Potenz ist? Die Überlegung, dass das „über sich Hinausgehen der Sache selbst immanent“ ist, gilt ja von Anbeginn an. Doch das denkende Überschreiten braucht Voraussetzungen, sonst wäre es ebenfalls seit Anbeginn an „da“. Welche Voraussetzunge sind das? Warum sind diese heute gegeben? Sind sie?

(12.1.1) Re: Theorie und Praxis, 29.03.2007, 12:20, Matthias Schulz: Ja, das ist mir auch aufgefallen.
Ich kann dazu erstmal nur sagen, dass dieses hervorbringen beinhaltet, das Hervorgebrachte zu einer neuen Voraussetzung zu machen. Das bedeutet jedoch, es zum Stand der Bildung zu machen und sogar die Verhältnisse danach zu strukturieren. Die ganze Umgestaltung der Welt ist nötig, damit dieses ehemals neu Hervorgebrachte eine Voraussetzung für mich sein kann, von der ich dann ausgehe.

(13) Da dieses für mich gewordene mir ein neues Potenzial zugänglich macht, damit erweiterte Möglichkeiten für mich darstellt, will ich es auch realisieren. Das heißt, ich will das theoretisch Hervorgebrachte auch praktisch verwirklichen. Damit nehme ich mein Wollen nicht aus mir heraus, es ist nichts nur subjektives, sondern die Dinge sollen zu dem werden was sie sind. Ich kann nur Etwas wollen, von dem ich weiß. Und ich kann nur von Etwas wissen, was objektiv vorhanden ist.

(13.1) …von etwas wissen, 08.02.2007, 18:36, Konrad Stoeber: Woher weisst Du von einer Subjekt-Objekt-Spaltung, wenn Du nur von etwas weisst, was objektiv vorhanden ist ? Du möchtest schon vom Subjekt was wissen, um eine solche Spaltung (wie weiter unten eine Einheit) konstatieren zu können.

(13.1.1) Re: …von etwas wissen, 14.02.2007, 23:18, Wolf Göhring: „Ich esse schweinebraten“: Subjekt-objekt-spaltung par excellence. Wenn nicht schon meine altvordern um diese spaltung gewußt hätten, hätten sie mir nicht eine sprache hinterlassen, in der die einfachsten sätze diese spaltung bereits wiedergeben.
Schweinebraten essend bin ich objektiv vorhanden (ergo sum!), und ich weiß es, es sei denn, eine in den hirnkatalogen verzeichnete bestimmte ecke in meiner grauen masse ist kaputt.
Aber: schweinebraten essend vernichtet das subjekt das objekt, macht einen teil davon zu einem teil des subjekts und mit dem rest verunreinigt dieses subjekt objektiv objekte.

(13.1.1.1) Re: …von etwas wissen, 17.02.2007, 19:22, Konrad Stoeber: Offensichtlich bringen wir’s nur und ausschließlich zuwege, über Objekte zu sprechen. Und wenn das Objekt zufällig mal ein Subjekt ist, macht’s auch nichts, da rette ich die Objektivität – alles muß objektiv sein – indem ich die Redeweise vom „objektiv vorhandenen Subjekt“ pflege. Weniger verklausuliert ist also auch in Ansehung eines Subjekts die Rede von einem Objekt, Wir sitzen offensichtlich in der Falle der Sprache unserer Altvorderen und unserer eigenen Sprache. Deswegen bin ich immer ein wenig erstaunt, wie jemand, dem alles objektiv sein muß, über Subjekte reden kann. Denn in dieser Trennung ist ja gerade das Objektive das „nicht Subjektive“.
„Schweinebraten essend“ bist Du objektiv vorhanden. Da Du es weißt, bist Du selbst das wissende Subjekt. dem das Schweinebraten essende Objekt gegenübersteht. Ist es jemand anderes dem Du also Schweinebraten konsumierend als Objekt gegenüberstehst, ist dieser das beobachtende resp. wissende Subjekt. In dieser Konstruktion ist das Subjekt ein Abstraktum.
Mit Deinem „Aber“ vollziehst Du (mindestens) einen Bedeutungswechsel von „Subjekt“. Bis dahin war das Subjekt selbst Objekt oder ein nur erkenndes, beobachtendes, wissendes Subjekt. Jetzt sprichst Du nicht mehr von einem beobachtenden resp. wissenden Subjekt, sondern von der Praxis des Schweinebratenessens. Das Mittel Deiner Tätigkeit (nicht das Objekt) ist der Schweinebraten, den Du ohne jeden Skrupel vernichtest. In Deinem „Aber“ ist also die Rede von einem konkreten und bestimmten Subjekt.
Vom Objekt wäre dann die Rede, wenn Du ein ordentliches Stück Lende gekauft hast, das Du noch braten mußt, damit es Dir Mittel der Konsumtion sein kann. Mittel zur Aneignung des Lendenstücks wäre dann unter anderem Deine Bratpfanne.
Die angemerkte objektive Verunreinigung von Objekten machen sich womöglich andere zum Mittel der Herstellung von Biogas, wo nicht, ist das Resultat unerfreulich.

(13.1.1.2) Re: …von etwas wissen, 17.02.2007, 19:23, Konrad Stoeber: Damit ich wegen Unterschlagung der spezifisch kapitalistischen Verfaßtheit unseres praktischen Handelns nicht exkommuniziert werde, noch eine Ergänzung: Bevor Du schweinebratenessend Dein Konsumtionsmittel vernichten kannst, tritt Dir zunächst Dein Objekt als Objekt der Begierde im Fleischregal im Supermarkt gegenüber. Da isses tatsächlich als Ware Objekt. Um es Dir Mittel werden zu lassen, mußt Du ein Quantum Geldes (als Mittel) an der Kasse lassen.
Dem objektivierenden Verstand ist der Schweinebraten vor und hinter der Kasse derselbe. Das Bezahlen stört zwar ein wenig, ändert aber für den Verstand nichts am Gebrauchswert. So gesehen ist dann aber der Gebrauchswert „nur“ ein Wesen der Vorstellung, ein Gedachtes. An die Realisierung des Gebrauchswertes kannst Du Dich erst nach besagtem Tauschakt machen. Vor der Kasse ist der Schweinebraten Dir deshalb Objekt, hinter der Kasse Mittel.
Unter dem Blickwinkel der politischen Ökonomie des Kapitalismus betrachtet, ist damit die Sache (soweit sie den sog. Endkunden betrifft) abgeschlossen. Marx: „Der Gebrauchswert in dieser Gleichgültigkeit gegen die ökonomische Formbestimmung, d.h. der Gebrauchswert als Gebrauchswert, liegt jenseits des Betrachtungskreises der politischen Ökonomie. In ihren Kreis fällt er nur, wo er selbst Formbestimmung. Unmittelbar ist er die stoffliche Basis, woran sich ein bestimmtes ökonomisches Verhältnis darstellt, der Tauschwert.“ (MEW 13, S. 15-16)
Summa: Die jeweiligen Bestimmungsstücke Subjekt, Mittel und Objekt erhalten offenbar ihre Bestimmtheit (Besonderheit) durch den jeweiligen praktischen Kontext. In dem in dieser Gesellschaft unhintergehbaren Tauschakt, realisierst Du die gesellschaftliche Formbestimmtheit eines Prozesses, dessen stofflichen Hintergrund Du ja unter dem Titel „Tasse Kaffee“ ja mal diskutiert hast.

Subjekt-Objekt-Spaltung

(14) Um das Ganze vielleicht etwas verständlicher zu machen, möchte ich es am Beispiel der Subjekt-Objekt-Spaltung näher erläutern.

(15) Die Trennung von Subjekt und Objekt ist konstitutiv für die bürgerliche Gesellschaft in dem Sinne, dass die objektiven Verhältnisse als für sich stehend, sich selbst reproduzierend erscheinen und das Subjekt nur darunter steht, das Gegebene nur ausführt.

(16) Um die bürgerliche Gesellschaft zu überwinden, muss also diese Trennung aufgehoben werden. Subjekt und Objekt sollen nicht mehr einander gegenüberstehen, sondern die objektiven Verhältnisse sollen nur noch eine Realisierung der subjektiven Zwecke sein, welche damit Objektiv sind. Das Subjekt kann sich so darin finden und indem es durch die objektiven Verhältnisse bestimmt ist, diese realisiert, ist es nur durch sich selbst bestimmt, realisiert sich selbst.

(17) Subjekt und Objekt sollen also eine Einheit ausmachen. Aber wie kann ich denn überhaupt etwas von dieser Einheit wissen, wenn doch deren Trennung diese Epoche konstituiert, und deren Einheit noch gar nicht existiert? Wie ist es denn miteinander vereinbar, wenn ich behaupte, dass das was für die menschliche Gesellschaft gelten soll, immer gilt?

(18) Nun, indem ich von einer Trennung zwischen Subjekt und Objekt spreche, beziehe ich sie aufeinander. Das Subjekt ist so in dieser Getrenntheit durch das Objekt bestimmt und umgekehrt. Die Subjekt-Objekt-Spaltung ist eine bestimmte Form der Einheit beider.

(19) Die Einheit ist also vorhanden, ist immer vorhanden. Das ist es was Subjekt und Objekt sind, in Beziehung zueinander zu stehen. Nur die Art dieser Beziehung, die Form ihrer Einheit ist historisch besonders.

(20) Die Einheit beider ist genau das, was sein soll, ist was ich will. Nur ist diese Einheit erst eine nur äußerliche. Subjekt und Objekt erscheinen als jeweils selbstständige, sind bis ins extrem auseinander, sie differenzieren, besondern sich. Diese bestimmte Einheit ist konstituiert durch die Differenz, welche ein notwendiges Moment der Einheit ausmacht und sich hier entwickelt.

(21) In der menschlichen Gesellschaft soll das Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt konstituiert sein durch die in sich differenzierte Einheit beider, so das diese sich in ihrer Besonderheit gegenseitig durchdringen.

(22) Blicke ich nun wieder zurück, auf die gegenwärtigen Verhältnisse, so muss ich deren besondere Einheit auch hier darstellen. Da Subjekt und Objekt immer durch einander bestimmt sind, bringt das eine das andere in seiner besonderen Weise hervor. Die objektiven Verhältnisse sind so nicht selbstständig, sondern durch mich konstituiert, aber in einer Weise, das ich mich darin nicht finden kann, obwohl ich darin bin. Und weil ich mich darin nicht finden kann, realisiere ich die darin liegenden Zwecke, Bedeutungen, als mir fremde, obwohl es meine sind. Und weil sie mir fremd sind, konstituiere ich die objektiven Verhältnisse als mir gegenüberstehend. So ist das, was mir dort als fremdes gegenübersteht, nur ich selbst.

(23) So befinde ich mich auf beiden Seiten dieses Gegensatzes, greife darüber hinaus, umschließe sie. Die Trennung verläuft so durch mich hindurch.

(24) Hier ist Platz für Kommentare, die den ganzen Text betreffen.

(24.1) Fazit, 08.02.2007, 18:42, Konrad Stoeber: Die ganze Konstruktion scheint mir arg hegelsche Manier und verbleibt so im Reich abstrakter Bestimmungen.

(24.2) Fazit, 26.02.2007, 14:06, Stefan Meretz: Vielen Dank für den Text, ich finde ihn sehr anregend! Mir ist die Argumentation jedoch nicht immer klar, ich hoffe, meine Fragen zeigen das. Der Text könnte gewinnen, wenn du ihn durch weitere konkrete Argumente unterfütterst dort, wo er jetzt noch notwendig abstrakt ist. Aber das ist vielleicht auch ein gemeinsame Entwicklungsaufgabe. Meine Abschlussfrage ist: Zeichnest du nach deiner eigenen Meinung mit dem Text ein teleologisches Bild der gesellschaftlichen Entwicklung? Wenn ja/nein, warum (nicht)?

(24.2.1) Re: Fazit, 29.03.2007, 12:44, Matthias Schulz: Ich weiß nicht, ob Teleologie es trifft. Aber es ist nötig, um Entwicklung und das sich Entwickelnde nicht zu trennen. Ist das Resultat einer Entwicklung nur erst dieses Resultat und nicht in seiner Entwicklung schon präsent, dann hat es sich nicht selbst hervorgebracht, sondern wurde gemacht und hat damit seinen Grund nicht in sich selbst, sondern in einem anderen.
Für die gesellschaftliche Entwicklung kann das nicht sein. Es gibt kein Außerhalb. Wenn diese sich jedoch selbst entwickelt, das wirkende, verwirklichende in ihrer Entwicklung ist, so ist sie dieser ständig gegenwärtig.

(24.3) Langer Kommentar zum ganzen Text, 14.05.2007, 14:34, Annette Schlemm: Hallo, ich habe jetzt einen ziemlich langen Text zum Thema „Inhalt-Form-Dialektik“ im Zusammenhang mit Mattis (und unserer) Fragestellung gemacht. Er steht online unter: http://www.thur.de/philo/Inhalt_Form.htm [1]

(24.3.1) Re: Langer Kommentar zum ganzen Text, 30.05.2007, 10:14, Stefan Meretz: Sehr interessanter Text! Bin gespannt auf den zweiten Teil… Hättest du etwas dagegen, den Text zusätzlich trotzdem bei opentheory einzustellen? Dort wäre er direkt kommentierbar. Ich würde gerne den Begriff „Grund“ besser verstehen und dazu Fragen stellen. Bilder könnten bei thur.de/philo referenziert werden.