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Gebrauchswert und Universalität

In einer Maildiskussion kritisierte Juli die These vom Gebrauchswert als nicht-ökonomischer Kategorie. Ich entgegnete, dass Marx dies aber durchaus auch so sah und zitierte aus »Zur Kritik der politischen Ökonomie« (MEW 13, S. 16) folgenden Abschnitt:

Obgleich Gegenstand gesellschaftlicher Bedürfnisse, und daher in gesellschaftlichem Zusammenhang, drückt der Gebrauchswert jedoch kein gesellschaftliches Produktionsverhältnis aus. (…) Gebrauchswert zu sein scheint notwendige Voraussetzung für die Ware, aber Ware zu sein gleichgültige Bestimmung für den Gebrauchswert. Der Gebrauchswert in dieser Gleichgültigkeit gegen die ökonomische Formbestimmung, d.h. der Gebrauchswert als Gebrauchswert, liegt jenseits des Betrachtungskreises der politischen Ökonomie.

Es geht also um die Frage, ob der Gebrauchswert eine überhistorische oder spezifisch-kapitalistische Kategorie ist. Juli verwies auf eine Diskussion zwischen Etienne Balibar und Moishe Postone, in der Postone den Gebrauchswert als kapitalistische Formbestimmung ansieht. Juli fasst zusammen:

er argumentiert, dass gebrauchswert ja die nutzbarkeit eines gegenstandes als solche bezeichnet. der gegenstand, der als ware verhökert wird, ist für alle menschen prinzipiell nutzbar, soweit sie ihn nur erwerben können. in vormodernen gesellschaften hingegen sei es so gewesen, dass die nutzbarkeit von gegenständen ebenso wie die gesellschaftliche arbeit als solche in ein korsett gesellschaftlicher regeln und normen eingebunden war. es gab entsprechend gegenstände, die von bestimmten menschen nicht genutzt werden durften und andere gegenstände, die von anderen menschen nicht genutzt werden durften. das konnte beispielsweise an kategorien wie geschlecht oder stand entlang definiert sein. insofern kann — so postone — von einer universellen nutzbarkeit von gebrauchsgegenständen erst mit dem kapitalismus die rede sein. was nun nicht heißt, dass das mit dem kapitalismus verschwinden muss. aber zumindest ist der gebrauchswert — so verstanden — eine kategorie, die durchaus auch in ihrer form als kapitalistisch und damit als gesellschaftliche oder ökonomische kategorie beschrieben werden kann.

Postone argumentiert vom Begriff der Universalität aus, die der Kapitalismus als eine abstrakte in die Welt gebracht hat. Er argumentiert, dass Objekte vor dem Kapitalismus sozial gebunden waren, Objekt und Verfügung waren sozusagen eins. Das erinnert an Eske Bockelmanns These vom materialen Taktverständnis vor dem Kapitalismus (während sich das abstrakte Taktverständnis erst mit der Verallgemeinerung der Waren- und Geldform durchsetzte). Doch ist es das Gleiche?

Die Frage nach dem Charakter der Kategorie Gebrauchswert ist nun verschoben auf die Frage nach dem Begriff der Universalität. Ist Universalität notwendig mit Abstraktion verbunden? Könnte man nicht in Anlehnung an Bockelmann von einer vormodernen »materialen Universalität« ausgehen, die erst mit der Durchsetzung des Kapitalismus zur »abstrakten Universalität« wurde wie wir sie kennen?

Was könnte eine materiale, sozial gebundene Universalität sein?

Es war ja nicht so, dass es eine strikte soziale Trennung beim Zugriff auf Objekte gab, sondern die Angehörigen der herrschenden Klasse konnten durchaus willkürlich auf alles zugreifen, inklusive auf die subalternen Menschen selbst, die dadurch den Status von Sachen bekamen. Universalität war also eine sozial gebundene Universalität der herrschenden Klassen.

Nun mag man einwänden, dass eine so verstandene Universalität gar keine »richtige«, sondern nur eine begrenzte, also gar keine sei. Dieses Argument ließe sich jedoch genauso für den abstrakt-allgemeinen Begriff der Universalität der bürgerlichen Gesellschaft in Anschlag bringen. Auch hier ist die Universalität eine begrenzte, weil sie sich immer erst im Nachhinein beweist und nicht a priori. Zwar war die bürgerliche Gesellschaft auf der Grundlage eines Begriffes der abstrakt-allgemeinen Universalität so etwa wie »universelle Menschenrechte« zu formulieren, aber eben nicht zu realisieren. Die Realisierung von Menschenrechten hängt eben doch allzuoft der Zahlungsfähigkeit der Betroffenen ab.

Kurz: Einen Begriff von Universalität oder Allgemeinheit gab es auch schon vor dem Kapitalismus, er war nur völlig anders beschaffen. Entsprechend erscheint es mir zwingend, dass auch die Nutzbarkeit »allgemein« gedacht werden konnte — allgemein im Sinne des historisch-spezifisch denk- und machbaren Allgemeinen. Es ist also erforderlich, dass wir für Nützlichkeit einen überhistorischen Begriff benötigen, der jedoch dann, wenn es an die konkrete Analyse einer Gesellschaftsform geht, entsprechend konkretisiert werden muss.

Aus meiner Sicht ist also der Gebrauchswert eine Konkretisierung eines allgemeinen Begriffs der Nützlichkeit für kapitalistische Verhältnisse und insofern nicht überhistorisch verwendbar. Hier widerspreche ich wie Postone also auch Marx, nur würde ich anders als Postone argumentieren. In der Postone’schen Argumentation liegt mir zu sehr die Gefahr der Hypostasierung von Verhältnissen, die der Kapitalismus hervorgebracht hat. Auch die spezifisch kapitalistischen Kategorien sind immer als historisch relative zu behandeln. Das und damit die Möglichkeit der Aufhebung geht mir bei Postone tendenziell verloren.